Schlagzeug als Soloinstrument: „Spices! Perfumes! Toxins!”
Insbesondere das österreichische Perkussionstalent Martin Grubinger (*1983) hat dem schlagkräftigen Instrumentarium in den letzten Jahren zu bemerkenswerter neuer Popularität verholfen. Der israelische Komponist Avner Dorman (*1975) war unter anderem Schüler von John Corigliano. „Spices! Perfumes! Toxins!“ (Gewürze! Parfüme! Gifte!) für zwei Schlagzeuger und großes Orchester, uraufgeführt 2006 unter Zubin Mehta, war seine erste Komposition für groß besetztes Schlagwerk. Dorman schrieb es für das Schlagzeugduo „PercaDu“. Im Folgejahr komponierte er übrigens ein weiteres Perkussionskonzert, das Martin Grubinger gewidmete „Frozen Times“.
Abgesehen davon, dass gerade das mitunter geradezu artistische Herumwirbeln der Schlagwerkinterpreten zusätzliche visuell Reize besitzt, welche die bildlosen Datenträger zwangsläufig nicht bieten können, handelt es sich bei „Spices! Perfumes! Toxins!“ um eine anspruchsvolle, komplexe, modern-archaische Kunstmusik, die mit ihren ungewöhnlichen Klangkombinationen nur wenige Hörer unbeeindruckt lässt. Neben dem überschreiten von Grenzen lassen sich hier aber auch unterschiedlichste globale Musikstilrichtungen auf neue Weise zusammenführen. Das ist Moderne, die faszinierend zeigt, dass „Klassik“ eine zwar oft totgesagte, aber eben doch keine tote Kunst, sondern vielmehr auch heutzutage noch ausgesprochen lebendig ist.
Auf dem von ARS produzierten Album ist „Spices! Perfumes! Toxins!“ jetzt erstmalig auch auf dem Tonträgermarkt erhältlich. Das Stück ist zwar zweifellos modern, es bleibt aber als klangsinnliche, zum Teil exotisch anmutende Musik – deren Satzbezeichnungen durchaus programmatisch ausgelegt werden können – für den Hörer unmittelbar gut fasslich. Das Konzert zählt somit also nicht zur schnell sehr abstrakten Avantgarde. Kompetent begleitet von der Nordwestdeutschen Philharmonie unter dem aus München stammenden Markus Huber legen sich die Schlagzeuger, Aron Leijendeckers aus den Niederlanden und Dan Townsend aus England beeindruckend ins Zeug. Beide sind Mitglied im jungen internationalen Schlagzeugensemble „Projekt StiX“.
So weit so gut. Allerdings ist es bereits nach rund 27 Minuten schon vorbei mit dem interessanten Ausflug in die Klangwelten des solistischen Schlagzeugs. Was danach folgt ist ausschließlich eine zwar solide dargebotene, aber an dieser Stelle m.E. mindestens entbehrliche, wenn nicht gar deplatzierte Interpretation von Paul Dukas kurzer programmatischer Tondichtung „Der Zauberlehrling“. Dieses an sich sehr schöne Stück, hat nämlich für das Schlagzeug keinerlei bemerkenswerte Aufgaben – was man durch eine pfiffige Bearbeitung eventuell erheblich hätte ändern können. Und wenn dann nach diesem letztlich reinen Füller nach nunmehr noch nicht einmal ganz 40 Minuten (was etwa einer klassischen LP-Länge entspricht!) bereits komplett Programmschluss ist, bleibt man als Hörer m.E. doch etwas ratlos und auch enttäuscht zurück. Was soll eine ansonsten tadellose, technisch sogar besonders hochwertige SACD-Produktion, welche die Kapazität des Datenträgers nur gerade mal zur Hälfte nutzt? Warum hat man hier nicht zum vielversprechenden und neugierig machenden Aufmacher des Albums passende weitere Kompositionen hinzugefügt, um dem Interessenten noch umfassendere Einblicke in moderne Schlagwerkkompositionen zu bieten?
Angeboten hätte sich etwa das fulminante, mit besonders heftigen rhythmischen Eruptionen aufwartende „Konzert für Schlagwerk und Orchester“ von Friedrich Cerha (Spieldauer rund 30 Minuten), das zum im Vergleich deutlich zahmeren Dorman-Opus zudem einen besonders markanten Kontrast gesetzt hätte. Während in „Spices! Perfumes! Toxins!” neben den ebenfalls eingesetzten Pauken und Trommeln vorwiegend Vibraphon, Marimba, Xylophon, arabisches Tamburin und die mit der Hand gespielte Türkische Darbuka verwendet werden, kommen im Cerha-Konzert auch noch gewichtigere Vertreter der Gattung, wie chinesische Hängebecken, Gongs und Röhrenglocken zum mitunter massiven Einsatz. Eine weitere diverser alternativer Möglichkeiten, das Albumprogramm interessant zu ergänzen und damit entscheidend zu bereichern, wäre das im Jahr 2012 uraufgeführte Schlagzeugkonzert des chinesischen Komponisten Tan Dun gewesen. Darüber hinaus hätte man dann eventuell noch mit weiteren kleineren Stücken und Zugaben auffüllen können, wie sie Martin Grubinger, aber auch Aron Leijendeckers, z.B. mit „Fata Murgana“, im Repertoire hat. Der Leser, dem diese Vorbehalte nicht oder nur wenig relevant erscheinen, wird allerdings an dieser Ersteinspielung von „Spices! Perfumes! Toxins!” sicher seine Freude finden.
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