Jerry Fielding, 2. Teil: Intradas The Mechanic
Einleitung: Ein Thriller von Regisseur Michael Winner
Mit The Mechanic (1972) setzte Regisseur Michael Winner wiederum einen Plot in Szene, in dem es um Gewalt gegen Personen geht und erneut verkörpert Charles Bronson den Hauptcharakter, den Auftragskiller Arthur Bishop. Bishop erledigt seine tödlichen Aufträge mit eiskalter Präzision und derartigem Geschick, dass die Morde in der Regel wie Unfälle mit Todesfolge erscheinen. Pikant wird die Situation, als er sich den vergleichbar eiskalten Sohn eines Opfers (Jan Michael Vincent) zum Partner und Quasi-Nachfolger heranzieht. Winner zeichnet hier gewissermaßen die Psychogramme zweier Männer jenseits jeglicher bürgerlicher Moralvorstellungen. Sein sehenswerter Film liefert faszinierend präsentierte Charakterstudien, enthält mancherlei überraschende Wendung und darüber hinaus einen unerwarteten Schluss.
Jerry Fieldings Filmmusik
Jerry Fieldings Musik ist in noch ausgeprägterem Maße als die zu Chato’s Land introvertiert, sie agiert praktisch völlig vom unmittelbar im Bild Gezeigten losgelöst. Sie fokussiert damit konsequent auf das, was hinter den Bildern liegt, die Psyche der handelnden Protagonisten. Formal knüpft der fast durchgängig modernistisch angelegte Score bei einer Erkenntnis des Begründers der Musik der Neuen (Zweiten) Wiener Schule, Arnold Schönberg, an. Dessen allerdings nur imaginäre „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene, Opus 34“ mit den Satzbezeichnungen „Drohende Gefahr“, „Angst“ und „Katastrophe“ weist bereits in die Richtung, wie Kompositionstechniken wie Atonalität und Zwölfton-Reihen von einem breiten Publikum (zumindest unmittelbar) empfunden werden.
Fielding bleibt kompositorisch weitgehend auf der Linie freier Atonalität, was ihm im Gegensatz zur konsequent angewendeten Reihentechnik die Gestaltung von Tonfolgen mit klarem Wiedererkennungswert gestattet. Diese müssen keineswegs ausschließlich dissonant, ja können sogar im herkömmlichen Sinne noch fast „melodisch“ erscheinen — Derartiges gilt übrigens besonders ausgeprägt für die Musik Alban Bergs, z. B. der Oper „Wozzeck“. So finden sich in The Mechanic zwar keine breit angelegten traditionellen Themen, aber eben schon mehrere quasi-thematische Bezüge. Den markantesten bildet die im letzten Drittel des Main Titles zum ersten Mal erscheinende, für den Killer stehende Tonfolge. Diese erweist sich besonders nach mehrfachem Hören als eine zwar unterkühlte, aber keineswegs einfach nur kalte Musik. Immerhin verkörpert Charles Bronson in Arthur Bishop nicht ausschließlich einen eiskalten Mörder. Bishop ist zugleich jemand, der für die schönen genussvollen Dinge des Lebens etwas übrig hat und er ist dabei auch einer, der Beethoven schätzt.
Keinesfalls setzt der Komponist in seiner Musik zum Killer-Drama auf vordergründige dissonante Schockeffekte. Die Mittel der Neuen Musik kommen hier eben nicht selbstzweckhaft zum Einsatz, sind nicht nur ein modisches Accessoire, wie in mancher Horror-Konfektionsware auch unserer Tage. Sie stehen vielmehr klar im Dienste eines konsequent intellektuell durchdachten Vertonungskonzepts. Im Verhältnis zum Stoff ist die musikalische Begleitung der Bilder sogar eher unerwartet ruhig, setzt in besonderem Maße auf die leisen Töne. Hier begegnet einem eine von faszinierend vielfältigen Klangfarben und damit nuanciert eingefangenen Stimmungen dominierte, insgesamt überaus subtile Filmmusik von besonderer Tiefe und Ausdruckstärke. Und schließlich zeigt Fieldings musikalisches Porträt zweier Killer bei mehrfachem Hören sogar ein Mini-Quäntchen lyrischen Potenzials, nicht zuletzt, wenn die zugehörige Tonfolge von der Klarinette intoniert wird. Das „Killer-Thema“ ist letztlich beiden todbringenden Charakteren, Lehrer wie Schüler zugeordnet und wird schließlich vom Schüler übernommen. Und auch in The Mechanic begegnet dem Hörer wiederum Fieldings Markenzeichen: eher unerwartete Snare-Drum-Linien, die der Musik einen zusätzlichen besonders markanten Akzent verleihen.
The Mechanic auf Intrada
Dank Intrada erhält der Käufer erstmalig Fieldings vollständige Filmmusik (rund 51 Minuten) plus insgesamt rund 26 Minuten Bonusmaterial (überwiegend Source-Music-Cues), in dem außerdem zwei weitere, alternative Versionen des Finales untergebracht sind.
Dank der im Begleitheft von Lukas Kendall verfassten sorgfältigen Zuordnung und eingehenden Beschreibung der einzelnen Stücke markiert das Intrada-Album zu The Mechanic derzeit eindeutig die Spitze dieser äußerst verdienstvollen Reihe Fielding-CD-Veröffentlichungen. Gerade der ausführliche Text Kendalls vermittelt besonders wertvolle Hinweise, lässt z. B. den bei Fielding häufiger besonders bedeutungsvollen konzeptionellen Zusammenhang zwischen Filmmusik und Source-Cues klar hervortreten.
Man hat nun die Wahl: kann sich eventuell zuerst allein auf die Filmmusik ohne die Source-Cues konzentrieren, die „reine“ Filmmusik in Form des Albumschnitts zusammenhängend anhören und sich im Anschluss die im Anhang platzierten Source-Cues als separaten Block vornehmen. Alternativ kann man durch Programmieren in exakt filmchronologischer Anordnung die komplette Musik studieren. Und dabei erweist sich das Konzept markanter Kontraste als nicht allein eigenwillig. Im vorliegenden Fall funktioniert das Pendeln zwischen Atonalität, Beethovenzitat, Big-Band-Sound und neapolitanischem Volkslied („O sole mio“) sogar vom Film gelöst fast durchweg überraschend gut. Einzig zwei der ebenfalls von Fielding beigesteuerten Big-Band-Source-Music-Piècen, erscheinen mir, da dem zeitgemäßen Pop-Rock der Ära besonders nahe stehend, als eher entbehrlich: Das ist allerdings Geschmackssache.
Sicher, was es hier zu hören gibt, ist gewiss keine leichte oder gar süffige Kost, also ganz gewiss nichts, was sich zum Nebenbei-Konsumieren eignet. Und diese Aussage gilt in stärkerem Maße als bei dem im ersten Artikel der Reihe vorgestellten Fielding-Score zu Chato’s Land. Wer sich jedoch auf eine etwas Zeit beanspruchende Entdeckungsreise einlassen mag, der lernt hier eine weitere herausragende Filmmusik der frühen 1970er kennen. Diese aus der Feder eines Könners stammende Komposition lohnt ein eingehenderes Hörstudium, da sie so manches eher routiniert und standardisiert gefertigte Klanggebräu der Marken Thriller und Horror — damals wie heute — weiträumig hinter sich lässt. Alles in allem bekommt der Hörer eine in ganz besonderem Maße kompromisslos angelegte, meisterhafte Filmvertonung zu hören, eine, deren intellektuelles Vertonungskonzept, wie auch der Film, im heutigen Mainstream-Hollywood wohl kaum eine Chance besäße.
Anmerkungen zu Jerry Fielding
Fielding ist, wie bereits in der Rezension zu The Wild Bunch angemerkt, stilistisch schwierig einzuordnen. Er, der in den 1950ern und 1960ern verschiedene durchaus gefällige Unterhaltungsmusik-LPs produzierte (z. B. „Sweet with a Beat“, „Swingin’ in Hi-Fi!“ oder auch „A Little Bit of Ireland“), zeigte sich in seinen Filmmusiken stets als erheblich weniger kommerzfreudig. Bei aller unmittelbar spürbaren Modernität des Ausdrucks ist Jerry Fielding jedoch keineswegs ein Vertreter des für die allermeisten Hörer eher abstrakt Bleibenden. In seinen Filmkompositionen arbeitet er zum einen mit kürzeren motivischen Tonfolgen, aber es gibt auch durchaus melodische Themen, die allerdings selten unmittelbar Ohrwurmcharakter besitzen. Seine in der Regel eher unkonventionellen musikalischen Lösungen finden ihre Anregungen neben dem Big-Band-Jazz auch in der klassischen Tradition. Unmittelbare klangliche Vorbilder sind dabei aber in der Regel nicht ganz leicht festzumachen. Die Bezüge liegen (was natürlich auch auf die Art der vertonten Filmstoffe zurückzuführen ist) meist in der nachwagnerischen Spätromantik und besonders in der Neuen Musik.
Ein ganz besonders wichtiger Bezugspunkt findet sich in der polnischen Avantgarde, bei Witold Lutosławski (1913-1994), dessen Kompositionen sich Fielding besonders verbunden fühlte. Lutosławskis bei Bartók und Strawinsky, aber auch bei Debussy liegende Wurzeln rücken Fielding auch bedingt in die Nähe von Jerry Goldsmith. Fieldings Vertonungskonzept ist allerdings unterschwellig sicher auch von Bernard Herrmann mit beeinflusst, den er nachweislich sehr geschätzt hat. Im Mix aus Melodik, ausgeprägter Neigung zum Big-Band-Jazz sowie zu modernistischen Klangstrukturen wäre auch noch Alex North als wahrscheinliche Inspirationsquelle zu nennen. Unmittelbare klangliche Verwandschaften zu bestimmten Scores der vorstehend Genannten sind allerdings im sehr persönlichen Stil Fieldings kaum auszumachen.
Witold Lutosławski auf Naxos
Wer sich Fieldings Musik nähern möchte, der sollte sich also auch mit den Kompositionen Witold Lutosławskis (1913-1994) befassen. Bei den Reihen der preiswerten Klassik-Veröffentlichungen des Naxos-Labels (siehe auch Kleine Klassikwanderung 12) wird der Interessierte nicht nur fündig, sondern ist zugleich ausnehmend gut beraten. Der Alben-Zyklus, vorzüglich eingespielt vom Sinfonieorchester des polnischen Rundfunks unter der Leitung von Antoni Wit, ist mittlerweile auf insgesamt neun CD-Alben angewachsen. Jedes Naxos-Album wartet mit einem schlichten, aber informativen Begleitheft auf. Es empfiehlt sich, nicht ausschließlich die soliden deutschen Texte, sondern zusätzlich auch die englischsprachigen zu lesen. Diese sind vom Informationsgehalt nämlich mit ihren deutschen Pendants nicht völlig deckungsgleich, da sie von unterschiedlichen Autoren stammen.
Die auf der Naxos-Homepage unter der Kurzbiografie des Komponisten zu findende Auflistung erhältlicher Einspielungen erscheint allerdings anfänglich etwas verwirrend, da neben sortenreinen Lutosławski-Alben auch Kompilations-CDs sowie Alben des BIS-Labels enthalten sind. Relevant sind die ersten elf aufgeführten Positionen. Lässt man von diesen noch die beiden BIS-Titel außen vor, hat man besagtes, derzeit verfügbares Naxos-Lutosławski-Albennonett vor sich.
Im Gegensatz zu seinem Landsmann Penderecki ist Lutosławski kein „Publikumsschreck“. Er galt zu Lebzeiten vielmehr als eher milder Avantgardist, ja wurde sogar als lebender Klassiker bezeichnet. Etwas, das von der trotz aller Kühnheit stets noch vorhandenen Verbindlichkeit im Ausdruck herrührt. Dank einer spürbar bleibenden lockeren Bindung an die Tradition weist seine Musik für den aufgeschlossenen Hörer insgesamt überraschend wenig Probleme auf. Selbst die unter dem Eindruck von John Cages geradezu anarchisch anmutendem Klavierkonzert entstandenen Kompositionen, welche die Möglichkeiten der „Aleatorik“ einbeziehen (z. B. die „Jeux Vénitiens“), wirken keinesfalls vergleichbar extrem gewollt oder überkonstruiert.
Als Einsteigerempfehlungen sind im Rahmen dieser Internetpräsentation die Cover dreier nachfolgend kurz vorgestellter Naxos-Alben angezeigt. Im Werkkatalog des Komponisten ist noch auf neoklassizistischem Fundament Ruhendes unmittelbar besonders wenig sperrig, wie die „1. Sinfonie“ (NX 8554283) oder auch das eindeutig vom Bartók-Pendant geprägte bedeutende „Konzert für Orchester“ (NX 8553779). Ebenso wichtig ist die „Trauermusik für Streicher“, gewidmet dem Andenken an Béla Bartók (NX 8553202), in der sich auch die Nähe zu den Streichersätzen Fieldings besonders gut ausmachen lässt.
Nick Redman, Bay Cities und Intrada
Nick Redman war bereits die treibende Kraft der CD-Alben-Reihe mit Fielding-Musik, erschienen in den späten 1980ern und frühen 1990ern auf Bay Cities — ein kurzlebiges Mini-Privatlabel, gegründet von Bruce Kimmel, das Mitte der 90er bereits wieder vom Markt verschwunden war. Redman ist gebürtiger Brite, stammt aus dem in der Nähe von London gelegenen Wimbledon, wo er seine Kindheit und Jugend verbrachte. Begeisterung für das Kino und auch die Filmmusik kamen früh. Nach eigenem Bekunden durch John Barrys Musik zum Welsh-Epic Zulu (1963), wobei die Begegnung mit Peckinpah und Fielding bei The Wild Bunch besonders prägend war. Mittlerweile lebt Redman als Produzent in Santa Monica in Kalifornien, hat diverse Dokumentarfilme (z. B. über Sam Peckinpah) produziert und war auch an diversen Filmmusikrestaurationen bei 20th Century Fox beteiligt.
Für die Bay-Cities-Alben wurden seinerzeit Kopien der Originalaufnahmen aus Fieldings Privatarchiv verwendet. Deren Qualität reichte von befriedigend bis gut. Für die auf Intrada veröffentlichte Reihe mit Fielding-Alben konnte erfreulicherweise sogar von den Original-Studio-Tonelementen abgenommen werden. Wie diejenigen zu Lawman und Chato’s Land sind bei der vor einigen Jahren erfolgten Auflösung der Londoner CTS-Studios auch die Studiobänder zu The Mechanic vor der Vernichtung bewahrt worden. Auch diese sind in hörbar erstklassigem Zustand: Als wären die Aufnahmen erst gestern erfolgt, so frisch, klar und dynamisch kommt der überaus transparente und rauscharme Klang daher. (Der Vollständigkeit halber sei auch noch das erste Fielding-Intrada-Album mit den beiden Peckinpah-Thriller-Musiken zu Bring Me the Head of Alfredo Garcia (1974) sowie The Killer Elite (1975), erschienen 2004 als Intrada Special Collection Vol. 13, erwähnt.)
Fielding auf Intrada
Jerry Fielding auf Intrada ist ein feines, zweifellos sehr verdienstvolles Projekt, dem hoffentlich so bald nicht die Puste ausgehen möge. Der Pferdefuß liegt leider darin, dass praktisch sämtliche bisher erschienenen Fielding-Intrada-Alben bereits wieder vergriffen, nur noch auf Auktionen zu haben sind. (Das gilt ebenfalls für die Warner-Veröffentlichungen zu The Wild Bunch.) Dabei war das erst im Dezember 2007 erschienene Album zu The Mechanic, zweifellos einer der auf Anhieb besonders sperrigen Fielding-Scores, geradezu rasend schnell ausverkauft. Hier haben wir wieder einmal den Fall eines unerwarteten Runs auf ein CD-Album, der sich allein über die Qualität der Musik gewiss nicht rational erklären lässt. Im Vergleich wird das qualitativ praktisch gleichwertige Album zu Chato’s Land — wie auch seine Reihenvorläufer — erheblich langsamer abverkauft. Trotzdem sollte der inzwischen vielleicht neugierig gewordene Leser besser nicht zu lange zögern: Chato’s Land und The Mechanic gehören zum Besten, mit dem die Komponistenwerkstatt Fieldings firmieren kann.
© der Abbildungen auf dieser Seite bei Intrada, MGM und Naxos.
Mehrteilige Rezension:
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