Hat 3D für zuhause eine Chance?

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
10. Dezember 2010
Abgelegt unter:
Special

Seit rund anderthalb Jahren erlebt 3D im Kino einen Boom. Dabei handelt es sich nur in der technischen Umsetzung um eine echte Innovation, 3D an sich ist hingegen eher ein doch schon recht betagter Hut. So sorgte bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts, in den Kindertagen der Fotografie, die so genannte Stereoskopie für erste Begeisterung bei breiteren Publikumsschichten. Auf der Kinoleinwand sorgte 3D in den Jahren 1953/54 kurzzeitig für eine Euphorie, geriet dann aber doch rasch wieder ins Abseits. Nicht nur, weil sich die zuerst favorisierten 3D-Gimmicks, wie „Ein Löwe in ihrem Schoß!“, rasch abnutzten und die meisten im Anschluss an die ersten großen Erfolge — damals wie heute — schnell auf den Markt geworfenen Filme eher bescheiden denn gut waren. Hinzu kamen technische und auch praktische Probleme, die 3D beim Publikum aber auch den Kinobesitzern in Misskredit brachten — siehe dazu auch Ein Farbwildwestfilm in 3-D: Hondo • Man nennt mich Hondo (1953). Ironischerweise kam seinerzeit eine der besten 3D-Produktionen erst in die Lichtspieltheater, als das Lebenslicht der damaligen 3D-Welle bereits wieder kurz vor dem Verlöschen stand, die MGM-Musicalverfilmung Kiss me Kate • Küss mich Kätchen (1953) von George Sidney. Das Phänomen 3D-Begeisterung war übrigens auch späterhin, in zeitlichen Abständen von etwa 15 bis 20 Jahren, zumindest kurzzeitig wiederholbar.

Inzwischen hat sich einiges getan, hat die erforderliche Technologie gewaltige Fortschritte gemacht. So ist die auf der seinerzeit aufwändigen und personalintensiven Zweibandtechnik aufbauende moderne 3D-Technik dank des Einsatzes computergesteuerter digitaler Projektion nicht nur entscheidend verbessert, sondern auch in der Handhabung derart vereinfacht worden, dass die Kinoketten die Umrüstung auf breiter Front wagen. Das so machbare 3D-Kinoerlebnis ist von einer zuvor kaum erreichbaren Qualität.

Und wie zu erwarten bleibt die 3D-Technologie keine reine Kinodomäne, sondern drängt mittlerweile auch auf den Heimkinomarkt. Das moderne, mit dem alten analogen PAL-(Plus)-Standard kaum mehr etwas gemein habende digitale Fernsehen in HD macht es nun möglich, das räumliche Kinoerlebnis in exzellenter, gerade im TV nie dagewesener Perfektion auch zuhause zu erleben.

Schon früh wurde darüber diskutiert, ob es sich bei 3D um eine sinnvolle Erweiterung des Kinoerlebnisses handle oder eher um eine sinnlose Spielerei. Die Antwort auf diese essentielle Frage hängt in ganz besonderem Maße von der Art und Weise ab, wie man zukünftig mit 3D umgehen wird. Grundsätzlich denke ich, dass gerade die optimierte Full-HD-3D-Technik unserer Tage durchaus das Zeug zu einer interessanten Ergänzung des gewohnten 2D-Erlebnisses besitzt. Dabei liegt die Betonung auf Ergänzung, was heißen soll, dass der Einsatz von 3D Eventcharakter behalten wird. Alle Szenarien, die über eine rein dreidimensionale Zukunft der TV- und Kinowelt mit oder auch ohne Brille spekulieren, gehen m. E. an den Realitäten ziemlich vorbei. Wer will denn schon wirklich alles, z. B. eine Diskussionsrunde, ein intimes Kammerspiel oder gar Nachrichten aus aller Welt inklusive der Lottozahlen, zum Greifen nahe sehen?

Wie die Vergangenheit klar gezeigt hat, ist der virtuell machbare Raum etwas, das nicht leichtfertig, fortwährend als reine Spielerei präsentiert werden darf. Der vorhandene Reiz an der Sache läuft dann nämlich Gefahr, rasch verschlissen zu werden. Nur mit qualitativ hochwertigen Produktionen wird 3D dazu in der Lage sein, größere Teile des Publikums auch mittel- und längerfristig zu überzeugen. Dass der 3D-Effekt grundsätzlich auf Interesse stößt, belegen ja die in zeitlichen Abständen erfolgten Wiederbelebungsversuche ebenso eindeutig.

An dieser Stelle kommt Avatar-Macher James Cameron ins Spiel, dessen ultimative Forderung nach „ganz oder gar nicht“, d. h. beim Dreh von vornherein ausschließlich 3D-Technik einzusetzen, man schlichtweg unterstreichen muss. Ein optimales Ergebnis vorausgesetzt, ist es nämlich bereits in der Vorbereitung eines Films nicht egal, ob man sich nun für Farbe oder Schwarz-Weiß, oder ob man sich für 3D anstelle von 2D entscheidet. Bei 3D muss der Raum bereits beim Dreh merklich anders genutzt werden. Das beeinflusst die gesamte Dramaturgie, und somit muss bereits vor Beginn der Dreharbeiten anders geplant, müssen beabsichtigte spezielle 3D-Effekte gesondert ausgearbeitet (getestet) werden. Dass man 3D-Filme in Teilen merklich anders machen muss als 2D-Produktionen, ist eine bereits 1953/54 gemachte Erfahrung. Schon damals wusste man, dass es Probleme mit der Perspektive gibt, so dass unter Umständen auch Kulissen speziell gebaut werden müssen. Ebenso sind Regisseure und Kameraleute gefordert, sich mit der Technik auseinanderzusetzen und mit den gegenüber 2D aufwändiger zu handhabenden elektronischen 3D-Spezialkameras zu tüfteln. (Immerhin sind diese doch gegenüber ihren eher monströsen mechanischen Vorläufern deutlich schlanker und damit erheblich praxisfreundlicher geworden.) Exakt da hakt es zurzeit offenbar. Dem erhöhten Aufwand bei Realszenen weichen die Produzenten bislang weitgehend aus. Aus diesem Grunde wird der Markt derzeit mit rein am Computer erzeugten 3D-Animationsfilmen geradezu überschwemmt.

Dabei besitzt die optimierte Full-HD-3D-Technik unserer Tage überhaupt erst die Voraussetzungen, die in ihr steckenden Potenziale abzuklopfen, z. B. bei Fußballspielübertragungen. Entsprechend sind weitere fantasievolle Experimente gefragt, um die virtuellen Räume und die sich darin abspielenden Geschichten noch geschickter miteinander zu verknüpfen. Als besonders eindrucksvoll sind unter diesem Gesichtspunkt bereits die Pixar-Produktionen Oben und Toy Story 3 einzustufen, die, wie auch Camerons ebenfalls sehr beeindruckender Avatar — Aufbruch nach Pandora, auf die üblichen 3D-Gimmicks fast völlig verzichten.

Kontraproduktiv sind negative Begleiterscheinungen, verursacht durch die nach dem Riesenerfolg von Avatar ausgebrochene Jagd nach dem schnellen Geld. So reagierten weite Teile des Publikums mit massiver Verärgerung über die mangelhafte 3D-Qualität bei Kampf der Titanen, der nicht in 3D gedreht, sondern erst nachträglich in 3D konvertiert worden ist. Dadurch sensibilisiert, weigerten sich bereits im Vorfeld die dänischen Theaterbesitzer mehrheitlich den ebenfalls nur per Computer auf „Pseudo-3D“ getrimmten Shyamalan-Film, Legende von Aang, überhaupt als 3D-Version zu zeigen. Und nun hat auch Warner offenbar ganz kalte Füße bekommen und die Arbeiten an der Konvertierung von Teil 1 des Harry-Potter-Finales abgebrochen. So ist Harry Potter and The Deathly Hallows (Part I), für die Potter-Fans „das sehnlichst erwartete KinoEvent des Jahres“, am 18.11.2010 nur im üblichen 2D-Format an den Kinostart gegangen. Das wiederum hat bei den Besitzern der 3D-fähigen Abspielstätten die Erwartungen an das Weihnachtsgeschäft deutlich gedämpft und für Frust gesorgt.

Was das Konvertieren von 2D in 3D angeht, das Cameron ja zumindest für ältere Filmtitel nicht ausschließt, bleibe ich ebenfalls äußerst skeptisch. Trotz weiter voranschreitender (Computer-)Techniken ist dies beim Realfilm ein der Quadratur des Kreises ähnliches und damit in Perfektion letztlich unmögliches Unterfangen. Warum? Weil man nachträglich aus dem Nichts etwas künstlich schaffen muss, das man ursprünglich überhaupt nicht berücksichtigt hat. Zum Vergleich: Rechnet man Bilder von DVD-Auflösung auf Full-HD hoch, kann man bei der Wiedergabe auf größeren Bildschirmen zwar gewisse Verbesserungen erreichen, jedoch nur in der Form, dass beim Aufblasen des Bildes unweigerlich auftretende Qualitätsverluste vermindert werden. Ein echtes HD-Bild kann dabei aber zwangsläufig nicht herauskommen. Ebenso ist es nicht möglich, aus einem ursprünglich in Schwarz-Weiß gedrehten Film nachträglich einen überzeugenden Farbfilm zu machen. Entsprechend muss das, was man bei einer nachträglichen Konvertierung auf „Pseudo-3D“ auch im besten Fall wird erreichen können, zwangsläufig ein klarer Kompromiss bleiben. Die besonders in den (wenigen) Szenen mit hohem Realanteil erkennbaren (hier allerdings noch relativ dezenten) Schwächen bei Tim Burtons Alice im Wunderland sprechen da doch eine eindeutige Sprache.

So bleibt zu hoffen, dass 3D jetzt erst einmal weniger überhitzt gehandelt wird, und ebenso, dass auch diese Technik einen etwas längeren Atem eingeräumt bekommt, um ihre Tauglichkeit unter Beweis zu stellen. Bereits in den ausgehenden 1960ern ist das neue Farbfernsehen ja nun ebenfalls keine ganz schnelle Sache gewesen, etwas, dass man realistischerweise auch nicht hat erwarten können. Man erinnere sich dabei auch an die sich seit Anfang der 1980er zuerst nur langsam im TV-Bereich etablierende Stereotechnik. Dieses anfänglich unscheinbare, zuerst sogar nur zweikanalige, schlichte Pflänzchen, das viele Zuschauer zuerst eher am Rande wahr-, wenn überhaupt ernst genommen haben, hat sich inzwischen zu einem am Markt fest verwurzelten kräftigen Baum multikanalig arbeitender Surroundtechniken entwickelt. So, wie das inzwischen ebenfalls nicht mehr ganz frische HD und damit auch die Blu-ray ihre Zeit gebraucht haben, inzwischen aber in stetig zunehmendem Maße Marktanteile verbuchen können, so sollte man jetzt auch 3D nicht vorschnell ins Abseits katapultieren, sondern vielmehr eine echte Chance einräumen. Dabei ist ähnlich wie bei HD/Blu-ray entscheidend, dass, was am Konsumenten erprobt wird, konzeptionell wie auch technisch auf höchstem Niveau angesiedelt ist: Jetzt bloß nicht die Zuschauer mit einfallslosen Gags ermüden und/oder mit mangelhafter 3D-Technik verärgern und schließlich verprellen. Jeder weitere Flop verunsichert potentielle Käuferschichten und heizt die gerade in manchen Internetforen sehr polemisch und auch häufiger von wenig Sachkenntnis geprägten Debatten unnötig an. Und schlechte Stimmung ist etwas, das dem Erfolg massiv im Wege steht.

Also sollten auch die beteiligten Medien besser Hand in Hand arbeiten. Die Kinos, in denen die Blockbuster zuerst gezeigt werden, müssen ihre digitalen Projektionsanlagen sorgfältig und regelmäßig warten. Ansonsten brennen sich im Bewusstsein der Zuschauer Mängel wie Unschärfen und/oder Doppelkonturen fälschlich als systembedingte Schwächen und damit Vorurteile ein. Ebenso ist das Fernsehen in der Pflicht, die Zuschauer nicht zu irritieren. So war der 3D-Abend am 28. August auf arte eine Maßnahme, die nur Kopfschütteln auszulösen vermochte. Die beiden im Anaglyphenverfahren gezeigten 50er-Jahre Filme (Hitchcocks Bei Anruf Mord sowie Jack Arnolds Der Schrecken vom Amazonas) wurden derart schlecht präsentiert, dass sich infolge ständig penetrant sichtbarer, heftiger Doppelkonturen ein überzeugender 3D-Effekt schlichtweg nicht einstellen wollte. Bei Anruf Mord hatte noch zusätzlich mit eklatanten Problemen bei der Schärfe zu kämpfen. Damit war das Ganze visuell derart unerträglich, dass wohl die allermeisten Zuschauer bereits nach wenigen Minuten die Lust verloren und die Brille weggeworfen haben dürften. Dies auch, um den bei derartig mangelhafter Präsentation ansonsten bald unweigerlich auftretenden Kopfschmerzen zu entgehen. Unterm Strich war diese unglückliche 3D-Einlage jedenfalls alles andere als eine Werbung, sondern eher eine Abschreckung. Derartig schlecht habe ich Anaglyphen-3D zuvor ehrlich gesagt überhaupt noch nicht erlebt. Auch die am selben Tag in 3D erschienene Bildzeitung hatte nicht wirklich Aufregendes zu bieten, sondern war unterm Strich ebenso ein weitgehend flacher Reinfall.

Was die Verantwortlichen bei arte bewogen haben mag, mit in derart bescheidenem Zustand zur Verfügung stehendem Ausgangsmaterial überhaupt auf Sendung zu gehen, bleibt ähnlich unverständlich wie die Ausstrahlung so mancher Sendung, die trotz HD-Kennzeichnung mehr oder weniger bescheiden aussieht, sich visuell vom Üblichen kaum oder gar nicht abhebt. Das ist allerdings nun kein Phänomen, das arte-typisch wäre. Als besonders mau dürfen derzeit die schon früher bildtechnisch meist flauen, ob ihrer Grobkörnigkeit unruhig vor sich hin flimmernden Folgen der beliebten ARD-Krimi-Reihe Tatort gelten. Diese sind jetzt dank HD zwar weniger körnig, dafür aber meist fast durchweg unscharf und im modernen Digitalfernsehen somit eher matschig angekommen. Auch hier besteht also klar Verbesserungsbedarf, und das erst einmal beim Qualitätsbewusstsein der Verantwortlichen. Sonst muss man sich nicht darüber wundern, dass der an sich eindeutige HD-Vorteil arg lange braucht, ausreichend vielen Konsumenten bewusst zu werden.

Nun, arte hat sich in punkto 3D jetzt etwas für den Silvesterabend 2010 einfallen lassen, das zumindest von der technischen Seite erheblich erfolgversprechender erscheint: „Slava’s Snowshow“ mit dem russischen Clown Slava Polunin wird um 20:45 Uhr mit derselben 3D-Technik wie die 3D-Experimente auf Sky (Side-by-Side) ausgestrahlt und kann mit geeignetem 3D-TV plus Shutterbrille in deutlich zeitgemäßerer Qualität in Augenschein genommen werden. Derartiges hat die mittlerweile wirklich brillante 3D-Technik schon eher verdient. Laut arte soll die 3D-Übertragung auf dem HD-Kanal über alle Übertragungswege, also Satellit, Kabel und Internet (IPTV), zu empfangen sein.

Dabei ist 3D für zuhause bereits zurzeit nicht nur etwas für Spitzenverdiener. Die Preisaufschläge bei den erforderlichen Geräten sind eher maßvoll ausgefallen und auch ein schrittweiser Einstieg ist möglich, indem man Modelle anschafft, die erst einmal nur vorbereitet („3D-ready“) sind. Die Firma Panasonic hat zudem für das diesjährige Weihnachtsgeschäft einen geschickten Coup gelandet: Erhält doch der Käufer eines 3D-fähigen Panasonic-Gerätes exklusiv Avatar – Aufbruch nach Pandora als 3D-Blu-ray dazu.

Fazit: In der jetzt machbaren hohen Qualitätsstufe, mit bequem zu tragenden Brillen und außerdem praktisch ermüdungsfrei für die auf Artefakte sehr empfindlich reagierenden Augen, ist 3D nie zuvor gezeigt worden, im Kino zwar annähernd in den IMAX-Theatern, aber niemals auf dem hauseigenen Fernseher. Dabei dürfte der Größe des in die engere Wahl zu nehmenden 3D-TV-Panels allerdings schon eine besondere Bedeutung zukommen. Zu klein bleibt eher unbefriedigend, da dann eine Art Goldfischglas- bzw. Puppentheatereffekt resultiert, der das „Pantoffelkino“ der 1950er und 1960er in Erinnerung ruft und dem Ganzen ein Stückchen Überzeugungskraft raubt. Wer es sich finanziell wie platzmäßig erlauben kann, der sollte mit Bilddiagonalen (in Zoll) von 40+ die erreichbaren Eindrücke testen und dürfte sehr zufrieden gestellt werden.

Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zum Jahresausklang 2010.

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