Exodus (Tadlow)

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
23. Dezember 2009
Abgelegt unter:
CD

Score

(5.5/6)

Exodus: Geschichte, Mythos und der Film von Otto Preminger

Die so genannte „Exodus-Affäre“ war ein entscheidendes (Medien-)Ereignis auf dem Wege zur Gründung des Staates Israel im Jahr 1948. An Bord des ehemaligen Flussdampfers „Exodus 1947“, der in Wirklichkeit den Namen „President Warfield“ trug, machten sich rund 4500 so genannte Displaced Persons (DP; engl. für eine „Person, die nicht an diesem Ort beheimatet ist“), Überlebende des Holocaust auf den Weg nach Palästina. Die Fahrt war illegal, da die DPs außerhalb der von den Briten festgesetzten Einwandererquote ins Land wollten. Doch sie erreichten Palästina nicht etwa, wie im ersten Teil des Preminger-Films pathetisch rührend inszeniert, nachdem sie die Engländer vor der Weltöffentlichkeit in die Knie gezwungen hatten. Vielmehr war es den meisten von ihnen erst nach der Gründung Israels vergönnt, ins gelobte Land zu gelangen.

Wie die Erinnerungsliteratur belegt, waren die Erfahrungen der Überlebenden des Holocaust im gelobten Land häufig eher negativ. Sie wurden selten mit offenen Armen empfangen, galten vielen der sich stark und kämpferisch sehenden Israelis oftmals nur als Schwächlinge.

Doch ihre Reise lieferte wochenlang Schlagzeilen und ebenso medienwirksame Bilder eines Schiffes, das bevölkert mit Elenden und gerammt von britischen Kriegsschiffen Haifa wieder verlassen musste. Den Namen „Jeziat Europa 1947“ (hebr. = Exodus aus Europa 1947), auch abgekürzt als „Exodus 47“, hatten zionistische Aktivisten der „President Warfield“ übrigens erst auf hoher See verliehen. Die Flüchtlinge auf der Exodus 47 wurden von den Briten erst einmal zurück ins vom Krieg gezeichnete Europa gebracht. Wobei die meisten sogar in das besonders verwüstete Land gehen mussten, von dem der NS-Terror einst seinen Ausgang genommen hatte: Sie landeten in einem britischen Internierungslager bei Lübeck.

3577Die propagandistisch ausgeschlachtete Fahrt der Exodus 47 wurde Teil des nationalen Gründungsmythos des Staates Israel und erfuhr durch den Roman von Leon Uris seine literarische Spiegelung. Die Geschehnisse um die „Exodus“ des Romans haben dabei mit dem historischen Vorfall primär die grundlegende Geschichte und die Bezeichnung gemein.

Die von Otto Preminger 1960 produzierte Verfilmung beruht auf dem Erfolgsroman von Leon Uris und wurde der größte Kassenerfolg des Produzenten. Exodus ist damit von vornherein nur sehr begrenzt eine „Geschichtsstunde“. Roter Faden seines in vielem fiktiven und im zeitlichen Ablauf stark gerafften Plots um die israelische Staatsgründung ist die Liebesgeschichte zweier Menschen ganz verschiedener Kulturen: der Amerikanerin Kitty Fremont (Eva Marie Saint) und dem Haganah-Aktivisten Ari Ben Kanaan (Paul Newman). Anhand weiterer typisierter Figuren werden vor allem die beiden jüdischen Konflikt-Parteien, die eher moderate, realpolitische Haganah und die radikale, terroristische Irgun, charakterisiert und die Handlung vorangetrieben. Dabei wird die illegale Einwanderung in Palästina in Opposition gegen die 1922 vom Völkerbund autorisierte britische Mandatsherrschaft als heroische Gründungstat inszeniert.

Mittlerweile ist der Film weitgehend in der Versenkung verschwunden, wird selbst im TV kaum mehr gezeigt. Das liegt weniger an der (Kino-)Länge von im Original 212 Minuten (in Deutschland um 13 Minuten, auf 199 Minuten gekürzt), die bei dem schon seinerzeit als etwas behäbig inszeniert geltendem Epos beträchtlich Sitzfleisch erfordert. Es ist primär die Tatsache, dass die Jahre am Film nicht spurlos vorübergegangen sind, seine Sichtweise auf die Ereignisse heutzutage als zu einseitig um Sympathie für die jüdische Sache werbend erscheint.

Die Filmmusik von Ernest Gold (1921–1999)

Nun, auch wenn der einstige Ruhm des Films merklich verblasst ist: Der aus Wien stammende Ernest Gold hat mit seinem kraftvollen und zugleich sehr elegischen Hauptthema einen markanten Ohrwurm-Hit gelandet, mit dem sein Name dank unzähliger Cover-Versionen bis heute in ganz besonderem Maße verbunden ist. Mag diese breit ausschwingende, pathetische wie unverwechselbare Melodie heutzutage auch gerade beim Nachwuchs nicht mehr unmittelbar geläufig sein. Zumindest unterschwellig erinnert sich so mancher Youngster aber doch, dass er dieses feine Thema schon einmal gehört habe. (Eingehendere Informationen zum Komponisten Ernest Gold finden sich im Artikel zu On the Beach.)

Das im Tonfall dezent jüdisch gefärbte, äußerst prägnante Hauptthema ist im Score sehr gut verankert. Es schimmert zwar immer wieder, auch in variierter Form, bruchstückhaft auf und bildet in der Komposition den roten Faden. Ausführlicher zitiert wird es jedoch nur selten. So wird die breit ausschwingende Melodie nicht durch Überbeanspruchung abgenutzt. Der Komponist gestaltete seine epische Filmmusik darüber hinaus mit weiteren prägnanten Themen. Da ist das durch seine Marschrhythmik militärisch und zugleich heroisch anmutende für Ari Ben Kanaan, eines für Kitty Fremont, das zugleich als Liebesthema für die sich anbahnende Romanze fungiert. „Love is where you find it/The Valley of Jezreel“ demonstriert gekonnt die Arbeitsweise des Komponisten: Hier tritt das Liebesthema mit Varianten des Hauptthemas in einen feinen Dialog. Und es gibt noch eine weitere liedhafte Melodie, die für „Karen“, ein jüdisches Mädchen, das den Holocaust in Dänemark unerkannt überlebt hat, dessen Eltern hingegen von den Nazis ermordet wurden.

Darüber hinaus wird der zypriotische Sommer als Setpiece mit einem exotisches Flair verströmenden Thema charakterisiert. Eine gewisse Rolle spielt auch die spätere Nationalhymne der Israelis, das an Smetanas Tondichtung „Die Moldau“ erinnernde, Hatikvah. Es erklingt erstmalig in „The Star of David“ und beschließt auch den Score im Sinne der Großfilmpräsentationen vergangener, freilich nicht immer nur goldener Kinotage: Hatikvah erklingt erst nach dem Abspann des Films als „Exit-Music“. In Form einer geschickt gesetzten, feierlichen Orchesterrhapsodie wird so der „Exodus“ der ausdauerndsten Kinogänger untermalt.

3579Die älteren Exodus-Einspielungen

Zum Film wurden seinerzeit rund 34 Minuten der Originaleinspielung, gespielt von der Sinfonia of London unter der Leitung des Komponisten, auf RCA-LP veröffentlicht. Annähernd parallel dazu erschien noch eine mit identischen Trackbezeichnungen versehene, allerdings etwas mehr Musik (insgesamt rund 44 Minuten) umfassende Nachspielung (inklusive teilweise verlängerter Tracks sowie der Exit-Music „Hatikvah“) mit dem Hollywood Studio Orchestra unter Mitchell Powell auf United Artists. Überraschenderweise klingen beide Aufnahmen selbst von den CD-Reissues für ihre Zeit erstaunlich schlecht — Exodus ist immerhin eine 70-mm-Produktion (in Superpanavision) mit Magnetstereoton. Trotz Stereo ist der Klangeindruck beim RCA-Original unter Golds Leitung gepresst, dünn und leidet zusätzlich zum Teil auch noch unter Verzerrungen. Der viel versprechende Coveraufdruck „Living Stereo“ erzeugt da nur Kopfschütteln. Klanglich nur wenig besser schaut es bei Mitchell Powells (derzeit nur in Mono greifbarer) United-Artists-Nachspielung aus. Auch wenn diese Version ca. 10 Minuten mehr an Musik bietet, ist sie eher zweite Wahl, da Powells Interpretation gegenüber dem Original häufig ein merkliches Quantum Biss fehlt.

Exodus: Das Tadlow-Album

Mit dem Doppel-CD-Album, der derzeit neuesten Produktion von James Fitzpatricks Tadlow-Label, wird der Interessierte eindeutig am Besten bedient. Im jetzt erstmalig komplett vorliegenden Film-Score (rund 78 Minuten) sind auch einige kürzere Teile enthalten, die seinerzeit nicht in den Film gelangt sind. Die hier eingespielte Version des Main Title, welche das Hauptthema in voller Breite präsentiert, enthält übrigens die Urfassung, inklusive eines knappen Zitats des Ari-Themas. In der endgültigen Filmfassung ist dieses entfernt. Besagte Urfassung liegt übrigens auch der Einspielung Mitchell Powells (s. o.) zugrunde.

James Fitzpatricks großes Interesse an dieser Gold-Filmmusik und zugleich seine Sorgfalt belegen auch die drei noch zusätzlich eingespielten Stücke, die das Herz des Exodus-Komplettisten höher schlagen lassen dürften. Da ist eine Cover-Version des Hauptthemas als Lied mit einem Text von Pat Boone, „This Land is mine“, hier interpretiert vom Chor mit Orchester. Die Nummero zwei bildet eine erstmalig 1963 auf einem mit dem Londoner Sinfonieorchester unter der Leitung des Komponisten eingespielten Ernest-Gold-Sampler zu hörende, rund siebenminütige, virtuose „Konzertrhapsodie für Cello und Orchester“ (Cellist Pavel Belousek). Und eine von Produzent Fitzpatrick, vielleicht in Ermangelung der nicht existierenden Film-Ouvertüre, selbst arrangierte knapp viereinhalb Minuten umfassende „Konzertouvertüre“ macht das Tripel komplett.

Diese drei insgesamt eine knappe Viertelstunde umfassenden Stücke sind Teil des recht üppigen Bonusmaterials auf CD 2. Darunter findet sich noch Weiteres von Ernest Gold: Zweimal geht es walzerselig zur Sache: In der Exit-Music zum etwas bizarren It’s a Mad, Mad, Mad, Mad World (1963) von Stanley Kramer und dem „Candlelight and Silver Waltz“ aus Kramers heutzutage recht angestaubtem Ship of Fools (1965). Gerade der zuletzt genannte Walzer würde allerdings in einem Neujahrskonzert aus Wien keineswegs negativ auffallen, demonstriert er doch besonders perfekt die Nähe des Wieners Gold zu seinen europäischen Wurzeln.

Darüber hinaus finden sich weitere, zur im Zentrum stehenden Exodus-Thematik passende Filmmusikauszüge. Der kraftvolle „Main Title“ Sol Kaplans zu Judith (1966), zwei Stücke aus Elmer Bernsteins Cast a Giant Shadow (1965) sowie eine Leihgabe: die bereits zuvor für Silva Screen Records produzierte, rund 14-minütige Suite aus dem 1973er TV-Score QB VII von Jerry Goldsmith. Diese Suitenzusammenstellung ist ein ganz besonderes Highlight. Leider ist nämlich diese exzellente Musik derzeit nur in einer sowohl vom Umfang als auch klangtechnisch eher unzulänglichen Fassung zugänglich. Entsprechend macht das Hören in ganz besonderem Maße Lust auf mehr. In den außerdem vertretenen beiden Stücken aus dem 1993er Schindlers Liste (John Williams) darf die bereits aus der Tadlow-Kompilation „Far from the Madding Crowd“ vertraute Geigerin Lucie Švehlová ein weiteres Mal ihr Können unter Beweis stellen. Auf CD 1 gestatten darüber hinaus zwei mit Hilfe des Computers ansehbare Video-Clips noch zusätzlich kleine Einblicke in die Aufnahmesitzungen.

Andere hätten aus den insgesamt rund 90 Minuten Material zum Thema Exodus eine Doppel-CD mit zweimal 45 Minuten auf den Markt geworfen. James Fitzpatrick hat diese mit zusätzlich rund 50 Minuten weiterem wertvollen Musikmaterial ergänzt und den interessierten Sammlern so erneut ein sehr attraktives Album beschert.

Erwähnt zu werden verdient auch noch das nebst einigen Bildern mit sehr informativen Texten ausgestattete 22-seitige Begleitheft. In den „Producers Notes“ erwähnt Fitzpatrick unter anderem den beachtlichen Aufwand bei der Rekonstruktion der nur zu etwa 60% erhalten gebliebenen Filmpartitur von Ernest Gold. Die fehlenden Teile zu Exodus und ebenso einige Stücke der Boni-Sektion mussten vom Tadlow-Team in mühevoller Detailarbeit durch Abhören der Filmtonspur rekonstruiert werden. Wie zeitlich fast parallel Miklós Rózsa bei El Cid war auch Ernest Gold während der Dreharbeiten in Israel geraume Zeit vor Ort. Wie aus den vorliegenden Unterlagen hervorgeht, hat er in dieser Zeit interessanterweise eingehend ethnisches Instrumentarium der Region studiert. Fitzpatrick glaubt, dass Gold ursprünglich vor hatte, verschiedene dieser Instrumente in seiner Komposition einzusetzen. Warum die Filmmusik dann doch deutlich traditioneller ausgeführt wurde, dazu ist leider nichts Näheres überliefert.

3578Auch mit dem derzeit aktuellen Tadlow-Album, Exodus, kann der Filmmusikfreund also sehr zufrieden sein. Die Musiker aus Prag unter Nic Raine — partiell auch James Fitzpatrick — liefern auch dieses Mal durchweg sehr überzeugende, frisch anmutende Interpretationen. Soweit ein Vergleich mit der Originaleinspielung möglich ist (s. o.), ergeben sich hier und da zwar mitunter leicht zurückgenommene Tempi. Mit den getroffenen Entscheidungen kann man m. E. jedoch sehr gut leben: Es wird ambitioniert und durchweg zupackend musiziert. Ein Übriges zum sehr positiven Gesamteindruck leistet die hochwertige Aufnahmetechnik, welche das Klanggeschehen räumlich äußerst differenziert, klar und in den entsprechenden Momenten auch effektvoll und zugleich natürlich aus den heimischen Boxen erschallen lässt.

Mit nur rund 78 Minuten Musik hat der Komponist die 212 Filmminuten keinesfalls übermäßig, sondern eher ökonomisch vertont. Golds Musik ist thematisch vielseitig und versiert durchorganisiert. Sie schafft so ein adäquates musikalisches Pendant zur Dramatik der Handlung. Zwar finden sich in den rund 80 Minuten Filmmusik schon einige Spannungsmusiken, die ohne die zugehörigen Bilder anfänglich als etwas zu lang erscheinen. Doch diese eher kleinen Vorbehalte verflachen nach mehrmaligem Hören weitestgehend. Über 60 bis 65 Minuten dürfte diese edle Filmmusik auch von besonders empfindlichen Hörern als gut fließend eingestuft werden. Auch wenn die Tonschöpfung nicht in die absolute filmmusikalische Topliga gehört, volle fünf Sterne und damit eine sehr gute Bewertung verdient sie unbedingt. Das sorgfältig produzierte Doppel-CD-Set erhält durch die großzügige wie überhaupt liebevolle Ausstattung im Sinne einer Albumwertung noch einen halben Stern zusätzlich.

Fazit: Die Filmmusiken Ernest Golds sind auf CD leider immer noch unterrepräsentiert. Seine berühmteste Filmvertonung, Exodus, ist jetzt erstmalig vollständig zugänglich. Hat sich der damit verbundene Aufwand des Tadlow-Teams gelohnt? Dazu gibt’s von meiner Seite ein klares „Ja“. Die thematisch reichhaltige und vielschichtig organisierte Filmmusik bietet über den zweifellos professionellen alten Schnitt der Original-LP hinaus einiges an zusätzlich hörenswertem Material. Außerdem muss man feststellen, dass die erhaltenen Teile der Originaleinspielung tontechnisch absolut unbefriedigend sind. Insofern ist Exodus jetzt wahrhaftig wie neu geboren.

Hier finden Sie einen Überblick über alle bei Cinemusic.de besprochenen CDs des Labels Tadlow Music.

Dieser Artikel ist Teil unseres Spezialprogramms zum Jahresausklang 2009.

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Komponist:
Gold, Ernest

Erschienen:
2009
Gesamtspielzeit:
132:30 Minuten
Sampler:
Tadlow Records (Silva Screen)
Kennung:
TADLOW 007 (2 CDs)

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