Passion and Poetry — Sam Peckinpah in Pictures

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
4. Juni 2006
Abgelegt unter:
Lesen

Passion & Poetry — Sam Peckinpah in Pictures

Der Autor ist nicht Amerikaner, wie man zuerst meinen könnte. Nein, Mike Siegel (•1967) stammt aus dem Süden der Republik, genauer aus dem Baden-Württemberg’schen Sindelfingen und ist das, was man einen Filmaficionado nennt, ein begeisterter Sammler also und dabei besonders an Sam Peckinpah (1925-1984) interessiert. Dies spiegelt sich auch in der abendfüllenden filmischen Peckinpah-Biografie Passion & Poetry — The Ballad of Sam Peckinpah (2003/2004), aus der sich ein Ausschnitt auf der DVD zu Major Dundee (1964) findet.

Siegels (Sammler-)Schatz aus Filmplakaten, Aushangmotiven sowie einer Fülle rarer Fotos von den Dreharbeiten der verschiedenen Peckinpah-Filme bilden für den Interessierten eine selbst international bislang wohl einzigartige Bildmaterialsammlung. Diese und die aus Interviews mit Weggefährten, Freunden und Hinterbliebenen des Regisseurs stammenden Hintergrundinformationen ergeben zusammen das vorliegende Buch; eines, welches das Phänomen Peckinpah vorzüglich beschreibt, wenn auch nicht analytisch betrachtet. Rückt manch ähnlich gelagerte Publikation des Verlages Schwarzkopf & Schwarzkopf wie „Die junge Romy“ oder „Das große Album der Karl-May-Filme“ das in überwältigender Fülle präsentierte Bildmaterial vielleicht zu sehr in den Vordergrund, so ist bei Siegels Buch das Verhältnis zwischen Text-Information und Bildband erheblich ausgewogener, ähnelt z. B. stärker dem Band „Das Kino des George Lucas“.

„Passion & Poetry“ präsentiert Leben und Werk Sam Peckinpahs in leicht lesbarer Form und ist gespickt mit einer Fülle an Fotos zu den Dreharbeiten. Peckinpahs Kindheit und Jugend werden eher knapp behandelt, die Schaffensphase, von den ersten Gehversuchen bei Fernsehproduktionen bis zum letzten Spielfilm, wird eingehend, zum Teil akribisch detailliert beschrieben. Anhand der Filmografie wird die Biografie des Regisseurs werkchronologisch nachgezeichnet. Dabei finden sich auch originelle Hinweise zum jungen Peckinpah, auf den später seine eigene Legende (mit-)inszenierenden Outlaw Hollywoods, nämlich auf seine Neigung zum Epischen und ebenso auf ein Naturtalent für dramatische Inszenierung. So konnte „Young Sam“ bereits im zarten Alter von sechs bis sieben Jahren Tennysons Gedicht „Der Angriff der leichten Brigade“ (siehe dazu „Schlachten der Weltgeschichte“) auswendig und hat jene legendäre Schlacht wenige Jahre später anscheinend wöchentlich mit einer Meute befreundeter Kinder in Szene gesetzt. Ein paar Jahre später verstand es der mittlerweile offenbar zum aufsässigen Flegel herangewachsene Teenager geradezu meisterlich, fälligen Bestrafungen zu entgehen: „Bekam er vom Vater eine Ohrfeige, ließ er sich auf spektakuläre Art und Weise durch den Raum schleudern, um dann wie ein Boxer zu Boden zu gehen. Seine Mutter schrie daraufhin: David, du hast ihn umgebracht …!, womit für Sam die Bestrafung beendet war.“

Sicher ist der Band infolge fehlender analytischer Betrachtungen zu den Filmen zwangsläufig nicht die ultimative Peckinpah-Veröffentlichung auf dem Buchmarkt, aber dies ist eh nicht der gestellte Anspruch. Vielmehr handelt es sich um eine hochwillkommene und wertvolle Ergänzung der (zurzeit fast ausschließlich internationalen) Publikationen über den Regisseur. Bei aller spürbaren Begeisterung bleiben die Texte erfreulich um Sachlichkeit und Nähe zu den Fakten bemüht. Entsprechend findet sich bereits im ersten Satz des Vorworts ein entscheidender Hinweis: „Es gibt keine ‚Wahrheiten‘ über Sam Peckinpah. Zumindest nicht die Wahrheit.“ — das gilt aber nicht ausschließlich für „Hollywoods Bad Boy“, sondern für die meisten anderen Hollywoodgrößen ebenso.

Aufführungen seiner Filme führten zu gewalttätigen Ausschreitungen: Straw Dogs (1971) und Bring me the Head of Alfredo Garcia (1974) wurden in vielen Ländern durch Zensurschnitte entstellt oder ganz verboten. Peckinpahs filmisches Vermächtnis ist durch die häufig in Zeitlupen detailliert ausgekosteten Gewaltdarstellungen ebenso zwiespältig und zerrissen wie seine komplexe Persönlichkeit und wird wohl noch für länger problematisch und umstritten bleiben. Der Autor verweist dazu auch auf das sich hinter den Filmen verbergende menschliche Drama und die damit verbundene charakterliche Veränderung im Laufe der Jahre: „Sam Peckinpah war manisch-depressiv und Alkoholiker. Seine schlechten Erfahrungen mit Produzenten und Studio-Managern ließen ihn unter Verfolgungswahn leiden, der letztendlich durch eine Kokainsucht noch verstärkt wurde.“

Siegel lag es (nach eigener Aussage) fern, zu analysieren: „Denn da spuken die anderen (dutzend) analytischen Werke herum, die schon fast alles gesagt haben und den meisten Peckinpah-Fans bekannt sind.“ Indem der Autor die bisherige Quellenlage zusammenfasst und mit den von ihm zusammengetragenen Informationen abgleicht und außerdem mit neuen Erkenntnissen ergänzt, resultiert eine aktualisierte Peckinpah-Biografie; eine, die dazu mit vielfältigem und zugleich außergewöhnlichem Bildmaterial aufwartet. Dies macht Siegels Buch sowohl zur begehrenswerten Ergänzung der Bibliothek des erfahrenen Cineasten als auch für den interessant, der seine ersten Erfahrungen mit dem Kino des Sam Peckinpahs macht. Demjenigen, der sich vielleicht gerade die Western-DVD-Kollektion zugelegt hat, ist das Buch sicherlich hilfreich, sich erst einmal Ein- und Überblick in Wesen und Werk von „Bloody Sam“, dem „Picasso der Gewalt“ zu verschaffen — in den Audiokommentaren der jüngst erschienenen Western-DVDs beispielsweise finden sich ohnehin recht viele analytische Informationen, die den meisten fürs erste ausreichen dürften.

In einem Anhang liefert der Band weitere ausführliche Informationen: u. a. zum Inhalt der Filme und ihren unterschiedlichen Schnittfassungen; Quellenhinweise zu Büchern, Interviews und Publikationen den Regisseur betreffend und sogar Songtexte aus Filmen wie The Ballad of Cable Hogue sind vertreten. Abgerundet wird das Ganze noch durch einen fast 100-seitigen verschwenderisch-üppigen Farbbildteil „Sam Peckinpahs Filme in Farbe“, der mit internationalen Werbematerialien das Auge besonders verwöhnt.

Sam Peckinpah und seine Filme sind hierzulande auf sämtlichen Ebenen bislang eher stiefmütterlich behandelt worden. Mike Siegels Buch markierte bereits im Vorfeld des 20. Todestages (vielleicht) den Anfang dazu, dass sich zukünftig auch im deutschen Sprachraum mehr zum Thema bewegt.

Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zu Pfingsten 2006.

Erschienen
2003
Seiten:
576
Verlag:
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin
Kennung:
3-89602-472-8
Zusatzinfomationen:
(D) € 49,90

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