The Glass Slipper

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
14. April 2006
Abgelegt unter:
CD

Score

(4.5/6)

Lili/The Glass Slipper

Ein reizend märchenhaftes Kinoerlebnis, dicht an der Grenze zum (Film-)Musical, das ist Lili, ein Film, der 1953 eher überraschend zum Renner wurde. Daran hat sicher auch Bronislaw Kapers herrlich eingängiges Hauptthema, der Song „Hi-Lili, Hi-Lo“ einen nicht unerheblichen Anteil. Kaper ist ja gerade wegen seines ausgeprägten Talents für unmittelbar eingängige, ja oftmals ohrwurmträchtige Melodien von Louis B. Mayer während eines Europa-Trips im Jahr 1935 entdeckt und prompt engagiert worden — biografische Infos zu Kaper in der Rezension zu Home from the Hill/I’ll Cry Tomorrow.

1772Lili und auch die Realfilm-Variante des Cinderella-Stoffes The Glass Slipper • Der gläserne Pantoffel (1955) sind beide auf die französische Tänzerin und Schauspielerin Leslie Caron zugeschnitten. Gene Kelly entdeckte sie als Primaballerina am „Ballet des Champs-Elysées“ und machte sie als seine Tanzpartnerin in Vincente Minellis An American in Paris • Ein Amerikaner in Paris (1951) bekannt. Carons bekanntester Filmauftritt neben Lili erfolgte übrigens im Film-Musical Gigi (1958, Regie: Vincente Minelli) als Partnerin von Maurice Chevalier.

Kapers lyrische, unmittelbar ins Ohr gehendes Songmelodie für Lili ist zugleich das entscheidende Hauptthema des Scores. Wie die überaus liebevoll editierte FSM-Edition aber auch klar zeigt, wird besagtes Thema (meist nur geringfügig verändert) fortlaufend zitiert. Hinzu kommt in weiten Teilen des Albums der ausgeprägte Charakter von Zirkus- und Tanzmusik mit betontem Rummelplatz-Flair. Zweifellos ist das alles zwar sehr hübsch gemacht, aber es fällt doch etwas auseinander. Entsprechend dürfte das Album in Gänze gehört viele Hörer doch ermüden. Die (im eher leichtgewichtigen Sinne) sinfonischen Höhepunkte des Scores liegen in den beiden breiter auskomponierten Ballettsequenzen („Adoration Ballet“ und „Lili and the Puppets“).

Die wegen des merklichen Kirmescharakters gemachten kleineren Einschränkungen tun aber der editorischen Qualität des wie gewohnt vorzüglichen FSM-Albums keinerlei Abbruch. Kurioserweise ist zum Film seinerzeit nur eine Single mit verlängerter Spielzeit (45 rpm, EP: Extended Play) veröffentlicht worden, die allein den Song und gekürzte Fassungen der beiden Ballettsequenzen enthält. Erst die jetzt vorliegende FSM-CD macht somit die komplette Musik nebst diversen klingenden Fundsachen im Bonusmaterial zugänglich. Das ist natürlich eine sehr runde, auch klanglich (sehr klares, sauberes Mono) vollauf zufrieden stellende Sache. Möge das Album, entsprechend der Popularität des Films, viele Käufer finden.

1773Anders als Lili ist The Glass Slipper deutlich weniger erfolgreich gewesen und ist auch im TV nur selten zu sehen. Wie die jüngste FSM-Kaper-Edition belegt, kann es allerdings an Bronislaw Kapers schwelgerisch-üppiger sinfonischer Musik nicht wirklich liegen. Auf zwei CDs mit insgesamt rund 130 Minuten Spielzeit erhält der Kunde nicht allein sämtliches Musikmaterial, das jemals für den Film eingespielt worden ist; er bekommt es zusätzlich in erstklassig frischem Stereo-Sound. Und ein zusätzliches kleines Schmankerl bietet der letzte Track des Albums: einen kurzen Crosstalk zwischen Bronislaw Kaper und (bis dato wenig bekannt) dem Dirigenten der Aufnahmesitzungen: Miklós Rózsa.

Der musikalische Tenor ist in The Glass Slipper deutlich ausgeprägter sinfonisch und noch ballettartiger als in Lili. Dafür stehen nicht allein drei ausgiebige Ballettsequenzen: „Kitchen-Ballet“, „Tehara-Ballet“ und „Pantomimic Ballet“. Diese nehmen mit zusammen ca. 30 von insgesamt rund 71 Minuten Gesamtspielzeit einen recht breiten Raum ein. Besonders in diesen Stücken, aber auch in Teilen der übrigen Musik spiegelt sich neben dem Wiener Walzer in vielem die romantische Ballett-Tradition des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts charmant wider: von Leo Delibes „Coppelia“ über Josef Bayers „Die Puppenfee“, den Balletten Peter Tschaikowskys bis hin zu Ottorino Respighis Der Zauberladen. Damit ist The Glass Slipper eng verwandt mit The Swan aus dem darauf folgenden Jahr.

Im Zentrum des Scores steht vergleichbar mit Lili und The Swan ein ebenfalls ohrwurmträchtiges Hauptthema, das eingehend verarbeitet wird und auch als Song seinen Auftritt erhält: „Take My Love“. Drum herum findet sich alles, was zum Cinderella-Märchenstoff Sinn macht: schmetternde höfische Fanfaren, drollig und charmant auskomponiertes Mickey-Mousing sowie bereits eingangs ein ansprechendes Fugato zum Einstimmen auf das noch Kommende. Und in das Klangschwelgerische sind sehr hübsch auf ein Märchen aus alter, längst vergangener Zeit verweisende Stilismen und Instrumente eingearbeitet, wie das selten zu hörende Clavichord — ein entfernter Verwandter des Cembalos. Das Doppel-CD-Set bietet dem Käufer aber noch beträchtlich mehr: nämlich eine mit nochmals rund 60 Minuten üppigen Bonus-Materials versehene Disc-2. Hier kann man auch die während des endgültigen Schnitts deutlich veränderten, sowohl gekürzt als partiell auch erweiterten, Ballettmusiken mit der jeweiligen Filmversion auf Disc-1 vergleichen. Dabei kommt bereits beträchtliche Freude auf und wer dann dazu noch das edle Begleitheft studiert, dürfte wohl nur eines sein: vollkommen zufrieden.

The Glass Slipper ist gegenwärtig bereits die elfte vorzügliche Musik aus der Werkstatt Bronislaw Kapers, die FSM verdienstvollerweise aus dem MGM-Archiv zutage gefördert hat. Erst dadurch, nicht zuletzt durch die Langfassung von Mutiny on the Bounty, wird deutlich, wie sehr dieser auf Tonträger lange Zeit sträflich vernachlässigte Komponist bislang unterschätzt worden ist. Entsprechend gibt’s auch für das Doppel-CD-Album zu The Glass Slipper allein musikalisch für mehr als nur eine eindeutige Empfehlung stehende viereinhalb Sterne. Im Vergleich zu den in der letzten Zeit qualitativ auffällig nachlassenden Produkten des Varèse-Clubs, zeigt sich bei beiden FSM-Kaper-Veröffentlichungen, was dabei herauskommt, wenn mit derart viel Liebe zum Metier, gekoppelt mit entsprechender Sorgfalt Veröffentlichungen klassischer Filmmusik produziert werden: Erstklassig editierte Alben, wie sie eigentlich ausschließlich auf den Markt gelangen sollten. Entsprechend kann man hier, zumindest virtuell, noch jeweils einen halben Stern zuschlagen.

Dieser Artikel ist Teil unseres umfangreichen Programms zu Ostern 2006.


Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Komponist:
Kaper, Bronislaw

Erschienen:
2005
Gesamtspielzeit:
(2 CDs) 131:09 Minuten
Sampler:
FSM
Kennung:
Vol. 8 No. 19

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