Vanity Fair

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
10. Dezember 2005
Abgelegt unter:
CD

Score

(4/6)

Der Roman „Vanity Fair“ („Jahrmarkt der Eitelkeit“) des Charles Dickens’ Zeitgenossen William Makepeace Thackeray erschienen 1848 und erfreut sich im angelsächsischen Raum offenbar einiger Beliebtheit. Die Geschichte um die aus einfachen Verhältnissen stammende, ehrgeizige Becky Sharp, die sich im England der napoleonischen Kriege vornahm, in den höchsten Kreisen der Londoner Gesellschaft Fuß zu fassen, ist mehrfach für Kino und Fernsehen verfilmt worden. Rouben Mamoulians 1935er Version Becky Sharp machte übrigens Furore als erster abendfüllender Spielfilm in Dreifarben-Technicolor — war aber noch eine reine Studioproduktion ohne Außenaufnahmen. Jetzt hat sich die indische Regisseurin Mira Nair des Stoffes angenommen und dabei einen in schönen Bildern inszenierten Streifen geschaffen, der allerdings den zynisch-satirischen Biss der sozialkritischen Romanvorlage weitgehend abmildert.

Für Mychael Danna war dies die dritte Zusammenarbeit mit der Regisseurin, für die er bereits Kama Sutra (1996) und Monsoon Wedding (2001) vertonte. Mit Filmmusik von Mychael Danna assoziiert man exotische weltmusikalische Einflüsse, kombiniert mit subtil verinnerlichter musikalischer Gestaltung, meist angesiedelt zwischen Minimalismus und Klangmalerei. In der Musik zu Vanity Fair tritt uns der Komponist (scheinbar) als Gewandelter gegenüber. Auffällig ist der betont sinfonische und dabei auch ausgeprägt klassizistische Gestus in der Musik. Allerdings, so völlig unerwartet ist dies denn doch nicht: Eher kaum bemerkt hat Danna seit Ende der 90er Jahre auch im Umgang mit dem Sinfonieorchester an Profil hinzugewonnen. Dafür stehen bereits die besonders kraftvoll auskomponierten Actionstücke im Bürgerkriegsdrama Ride with the Devil (1999) und besonders der faszinierende Score zu Ararat (2002), entstanden für Atom Egoyans beeindruckenden Film über die armenische Tragödie 1915. Natürlich gibt es auch hier klangexotische Ausflüge, bei denen ein Ensemble aus traditionellen armenischen Instrumenten aufspielt: Dabei werden beispielsweise das seit The Russia House (und spätestens Gladiator) geläufige „Duduk“, die „Zurna“, ein der Schalmei ähnliches Holzblasinstrument, ebenso die Viola „Kamancha“, die Zither „Kanoun“ und die Laute „Tar“ subtil eingesetzt ist. So schön diese im Danna’schen Sinne schon traditionell weltmusikalisch gehaltenen Teile auch sind, sie sind deutlich weniger dominierend als in früheren Musiken, sind hier mehr ein wichtiges Stilmittel im ausgeprägt sinfonisch gehaltenen musikdramatischen Gesamtkonzept. Der Komponist schöpft thematisch aus armenischer Volks- und Kirchenmusik. Die Musik zu Ararat erreicht mit den Sopransoli von Isabel Bayrakdurian und den innigen sakralen, echt armenischen Chören im Wechselspiel mit stimmungsmäßig vielseitig auskomponierten orchestralen Passagen eindrucksvolle dramatische Spannkraft. Die Vokalsoli, der Chor sowie die ethnischen Instrumente wurden übrigens im armenischen Etchmiadzin aufgenommen — etwa eine halbe Fahrtstunde von Eriwan gelegen — und mit den Orchestereinspielungen (in den Londoner Air Studios, Lyndhurst) kombiniert. Der Score wird zum packenden faszinierend exotisch gefärbten (Anti-)Kriegs-Requiem. „Siege“ ist darin ein an Ride with the Devil erinnerndes Orchesterfurioso und fungiert hier anstelle des in der traditionellen Großen Totenmesse üblichen Dies Irae (Der Tag des Zorns). Den Abschluss bildet „The Ghost of My Father“, eine innige, die Basisthemen nochmals reflektierende Streicherelegie.

Im Kostümdrama Vanity Fair begegnet dem Hörer ein gelungener Mix aus insgesamt drei Kunstliedern und orchestralen Piècen. Besonders markant ist dabei das zugleich den Score prägende „She walks in Beauty“, vorgetragen von Sissel, begleitet von Cello und Klavier. Dannas Liedkomposition erinnert im vom englischen Volkslied inspirierten Tonfall an die Lieder Richard Rodney Bennets in Far from the Madding Crowd (1967). Das romantisch-lyrische Lied ist stellvertretend für Becky Sharps Ansinnen und drückt der Musik damit seinen Stempel auf, indem es sich in vielfältigen Stimmungen und Variationen widerspiegelt. Die orchestralen Teile reflektieren dabei teilweise die Stilismen der Ära der Filmhandlung mit Anklängen an das ausgehende 18. und frühe 19. Jahrhundert. Das Spektrum reicht dabei von charmanten Reminiszenzen an Mozarts Klarinettenkonzert in „Becky and Amelia Leave School“ bis zu Beethoven’schen Heroismen in „Announcement of Battle“. Neben breitorchestralen Einlagen spielt dabei auch die Transparenz kleiner Ensembles, bis zum Piano-Solo, im Stile von Salonmusik eine wichtige Rolle. Von den beiden Klavier-Liedern „The Great Adventurer“ und „Now Sleeps the Crimson Petal“ (beide interpretiert von Custer LaRue) ist das erste stilistisch noch am stärksten in der Epoche der Filmhandlung verhaftet an. Beim essentiellen Song „She walks in Beauty“ und auch „Now Sleeps the Crimson Petal“, aber ebenso in Teilen des orchestralen Scores schimmert immer wieder modernere Harmonisierung durch. Dies macht deutlich, dass es sich hier musikalisch um einen gekonnten (!) Blick zurück auf eine vergangene Epoche handelt.

Indien als Teil von Großbritanniens Empire spiegelt sich in Form zweier nach Bollywood (klingend) anmutender Songs („El Salaam“ und „Gori Re“), die so mancher Hörer als arg anachronistische Einsprengsel wohl lieber durch Programmieren weglassen dürfte. Die verbleibenden rund 40 Minuten Score sind ein abwechslungsreiches, sehr melodieorientiertes Klangerlebnis, das keineswegs nur für Danna-Enthusiasten oder nur als Souvenir zum Film taugt. Der Käufer erhält vielmehr ein überaus ansprechendes Höralbum, eines, das nicht nur schön klingt, sondern darüber hinaus ein beträchtliches Maß an handwerklichem Pfiff in der musikalischen Gestaltung verrät. Wertungsmäßig sind für Vanity Fair vier Sterne angemessen, Ararat erscheint mir als das derzeit Beste von Danna: Dafür sind fette (!) viereinhalb Sterne sicher nicht zu hoch gegriffen.


Mehrteilige Rezension:

Folgende Beiträge gehören ebenfalls dazu:


Komponist:
Danna, Mychael

Erschienen:
2005
Gesamtspielzeit:
46.24 Minuten
Sampler:
Decca
Kennung:
986 3125

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