Kleine Klassikwanderung 13: Sergej Prokofjew

Geschrieben von:
Michael Boldhaus
Veröffentlicht am:
10. Juli 2004
Abgelegt unter:
Special

Anlässlich des 50. Todestages des russischen Komponisten Sergej Prokofjew (1891-1953) erhält das Repertoire seiner Werke auf Tonträger Zuwachs in Form einer Reihe wertvoller Einspielungen. Besonders hervorstechend ist das Ballettmusik-Tripel auf cpo, das auf die frühen Ballettkompositionen des Russen fokussiert. Die cpo-CDs fassen nahezu sämtliche in Zusammenarbeit mit dem berühmten Impresario Sergej Diaghilev entstandenen Werke zusammen: „Le Chout (Der Narr)“, „Le Pas d’Acier (Der Tanz des Stahls)“, „L’enfant prodigue (Der verlorene Sohn)“ und „Sur le Borysthène (Am Dnjepr)“. All diese Ballette sind jedoch seit den 1930er Jahren weitgehend in Vergessenheit geraten. Das jeweils zugehörige Ballettszenario kann man sich getrost ersparen und ebenso sollte man über unsinnige Feststellungen zur Musik aus vergangenen real-sozialistischen Tagen allein lächeln, die bei „Le Pas d’Acier“ beispielsweise die scharfen Dissonanzen und klirrenden Orchestereffekte bei der Nachahmung des Maschinenlärms geißelten und damit „begründeten“, dass das Ballett keinesfalls als eine Darstellung der russischen Wirklichkeit gelten könne.

Sicherlich hat sich der Komponist durch bisweilen radikale musikalische Gebärden bis an die Grenzen der Tonalität vorgewagt, ihre Grundlagen hat er jedoch nie in Frage gestellt. Sein Œuvre ist typisch für die Zerrissenheit des 20. Jahrhunderts. Es bietet eine eigenwillige und sehr vielschichtige Kunst, die sich kaum in ein einfaches Klassifizierungsschema pressen lässt. Seine Musik pendelt zwischen Kompromisslosigkeit und Anpassung, zwischen einfacher eingängiger Melodie (oftmals im Volkston) und moderner Sperrigkeit und Komplexität.

Prokofjew wuchs im Russland des Zaren Nikolaus II. auf. Nach der Oktober-Revolution verließ er seine Heimat legal (war also kein Emigrant!) und lebte bis Mitte der 1930er Jahre im Ausland, schwerpunktmäßig in Paris. Seine kosmopolitische Einstellung zeigt sich in der Oper „Die Liebe zu den drei Orangen“: Dieses Werk eines russischen Komponisten entstand im Auftrag eines amerikanischen Theaters, auf das französische Libretto eines italienischen Dichters.

Wohl fast von Anfang an bereitete seine Musik vielen Probleme: Sowohl von den Vertretern der stalinistischen Kulturpolitik als auch denen der Avantgarde wurde er eher misstrauisch beäugt. Künstlerische Neugier und technische Gewandtheit im klanglichen Experiment handelten ihm den Vorwurf der Frivolität ein. Auf der anderen Seite gibt es gegenüber allzu vielen nach seiner Heimkehr in die Sowjetunion komponierten Stücken pauschale, nur langsam schwindende Vorurteile; diese gelten als ideologisch geprägt, angepasst und damit als unbedeutend. Kurioserweise sind und war einiges davon immer ausgenommen, wie das offiziell als Musterbeispiel des Sozialistischen Realismus geltende musikalische Märchen „Peter und der Wolf“.

Von den Ballett-Kompositionen gelang es einzig den nach der Heimkehr in die Sowjetunion komponierten, klassizistisch gehaltenen „Romeo und Julia“ und „Cinderella (Aschenbrödel)“ — vorgestellt hier —, sich international durchzusetzen. Zweifellos bieten diese edelste Musik, aber auch in den anderen (und nicht nur den) Ballett-Kompositionen gibt es viel Hörenswertes.

Der Hörer ist dazu eingeladen, sich auf eine Reise der Kontraste und Überraschungen zu begeben. Die ihm dabei begegnende, vielfältige Musik hat oftmals den Charakter eines Chamäleons: mal ist sie tänzerisch bewegt, dabei auch übermütig und ausgelassen bis zur frechen Parodie, aber neben komischen gibt es auch lyrische und ebenso ernst auskomponierte Teile. In jedem Fall wird es kaum langweilig, so abwechslungsreich und voller Überraschungen geht es zu.

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