Der Barbier von Sibirien

Geschrieben von:
Cinemusic.de - Team
Veröffentlicht am:
12. Mai 2001
Abgelegt unter:
CD

Score

(4.5/6)

Obwohl er schon seit 40 Jahren im Geschäft ist und für ca. 140 Filme die Musik komponierte, so hat der 1937 geborene Edward Nicolay Artemyev (eigentlicher Name: Eduard Nikolayevich Artemyev) in Kreisen der deutschen Filmmusik-Liebhaber doch bei weitem nicht den gleichen Bekanntheitsgrad erreicht wie seine amerikanischen Kollegen. Aus diesem Grund möchte ich hier etwas weiter ausholen, bevor ich auf die eigentlich zu rezensierende Musik zu sprechen komme.

Artemyev hat sowohl bei zahlreichen rein sowjetischen Filmen als auch bei amerikanischen und internationalen europäischen Produktionen mitgewirkt. Bei uns wohl noch am bekanntesten sind die Filme von Regisseur Andrei Konchalovsky, so z. B. Homer & Eddie (1988) mit James Belushi und Whoopie Goldberg, The Inner Circle (1991) und die TV-Produktion The Odyssey • Die Abenteuer des Odysseus (1997), an der neben Francis Ford Coppola auch das deutsche Fernsehen beteiligt war und die mit einem Emmy ausgezeichnet wurde.

Eine weitere erfolgreiche Zusammenarbeit verbindet Artemyev mit Regisseur Nikita Mikhalkov. Auf eine italienische TV-Produktion folgte 1991 zunächst Urga • Close to Eden (Camera One Production, Frankreich). Dieser Film wurde 1991 in Venedig mit einem Goldenen Löwen ausgezeichnet, außerdem 1992 für einen Golden Globe und 1993 für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert. Ein Jahr später gesellte sich noch die russische Produktionsfirma „Three T“ hinzu, und der gemeinsam mit „Camera One“ produzierte Film Burned by the Sun • Soleil Trompeur schaffte es 1995 dann sogar, die vergoldete Ritterstatue aus Los Angeles einzuheimsen. 1999 folgte schließlich Der Barbier von Sibirien – neben den bereits erwähnten Firmen waren an der Produktion noch eine weitere französische sowie italienische und tschechische Institutionen beteiligt.

Artemyev ist jedoch kein reiner Filmmusik-Komponist, sondern hat (wie sein amerikanischer Kollege John Williams) auch eine große Anzahl von symphonischen, vokalen und kammermusikalischen Werken komponiert, darunter auch für die (vom Westen boykottierten) olympischen Spiele in Moskau 1980. Vor allem zählt er aber auch zur Avantgarde der elektronischen Musik. Bereits in seinem allerersten Score, Meeting the Dream (1961) verwendete er, möglicherweise als erster Filmmusik-Komponist überhaupt, einen Synthesizer. Mit Ausnahme von Solaris (1972) hat Artemyev jedoch immer das Orchester als Grundlage für seine Scores genommen und die Elektronik nur in unterstützender Funktion eingesetzt.

Mit Der Barbier von Sibirien zeigt Artemyev, dass er sowohl ein großes Symphonieorchester (hier das Cinema Symphonic Orchestra of Russian Federation) nebst Solisten als auch avantgardistische Musikelemente gekonnt einzusetzen weiß (wobei zu bemerken ist, dass er im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen die Musik selbst orchestriert, aber nicht selbst dirigiert hat). Dabei wird der Synthesizer nur zur Erzielung spezieller elektronischer Klänge eingesetzt und nicht, wie man das ja häufiger findet, als imitierender Ersatz für herkömmliche Instrumente.

Zur Handlung des Films: Im Jahre 1885 reist ein Erfinder, gespielt von Richard Harris (Ein Mann den sie Pferd nannten, Fräulein Smillas Gespür für Schnee, Gladiator, Harry Potter und der Stein der Weisen nach Russland, um dort seine dampfbetriebene Holzerntemaschine zu verkaufen. Seine Assistentin, verkörpert von Julia Ormond (The First Knight, Sabrina, Fräulein Smillas Gespür für Schnee), verliebt sich in einen jungen russischen Offizier (Oleg Menshikov), der dann jedoch nach Sibirien verbannt wird.

In der ersten Hälfte der CD hält sich Artemyev mit der Elektronik noch zurück und beschränkt sich weitgehend auf die Verwendung des realen Orchesters. Als vorherrschendes Solo-Instument dient hierbei ein Flügelhorn (klingt einer Trompete recht ähnlich, nur etwas weicher).

Die CD beginnt mit dem Titel „Friendship“, der das etwas melancholische Hauptthema vorstellt. Dabei werden die eher ruhigen Passagen von besagtem Flügelhorn übernommen, während bei den etwas dramatischer gestalteten Stellen das Orchester überwiegt.

„Terrorists in Moscow“ klingt, wie der Name schon vermuten lässt, wesentlich hektischer. Dabei tritt die Melodie in den Hintergrund. Es dominieren schnelle Geigenfiguren mit intensiver Schlagzeugbegleitung und durchsetzt mit teilweise etwas dissonanten Bläser-Einwürfen (ähnliche Stücke tauchen im weiteren Verlauf der CD dann noch mehrmals auf). Gegen Ende ertönt schließlich ein hymnenartiges Flügelhornsolo, das dem Zuhörer auch in „Ceremony in the Kremlin“ nochmals begegnen wird (dann jedoch von einer Trompete gespielt).

Wesentlich fröhlicher und ausgelassener geht es in dem Stück „Captain Mokin“ zu, das mit seinen vielen Bläsern etwas wie ein flotter Zirkusmarsch wirkt. Auch ein Ausflug mit dem Pferdeschlitten steht auf dem Programm („Promenade on the Troika“) – ein recht ruhig und unbeschwert klingendes Stück, wobei das Trappeln der Hufe deutlich herauszuhören ist.

Das Liebesthema ist in „Jane and Andrei“ zum ersten Mal zu hören, hier in streicher-betonter Orchesterversion. Zunächst relativ ruhig beginnend, steigert sich die Musik bis hin zu einigen dramatischen Ausbrüchen und klingt hier fast wie eine romantische Symphonie. Später taucht das Thema dann noch mehrmals auf, so in „The Love“ (wo denn sonst 😉 ) oder in „Unexpected Visit“, diesmal als Klaviersolo.

Einer der Höhepunkte der CD ist sicherlich der (einzige) Walzer mit dem Titel „Surprise at the Ball“. Stilistisch klingt er weniger nach den Wiener Walzern von Johann Strauß & Co., sondern viel mehr wie ein großer Balettwalzer. Die Melodien sind relativ chromatisch, wenn auch bei weitem nicht so dissonant wie etwa bei George Antheil’s Specter of the Rose – Walzer von 1946. Sehr lebhaft und flott geht es auch in „Cadets and Maidens“ zu – ein Stück, das fast aus einer Revue am Broadway stammen könnte.

In „Welcome to Russia“ darf als „typisch russisches“ Element die Balalaika nicht fehlen, wobei diese jedoch nicht als Melodieinstrument dient, sondern nur als Begleitung und auch das nur zu Beginn des Stückes. Während dieses zumindest am Anfang noch einem russischen Folkloretanz ähnelt, kommt es zunehmend zu stark dissonanten Ausbrüchen; ausserdem verwendet Artemyev fanfarenähnliche Einwürfe der Blechbläser.

Erst im letzten Drittel der CD macht Artemyev dann massiven Gebrauch von elektronischen Mitteln. Den Anfang macht „The Prisoner’s March“. Dabei handelt es sich allerdings nicht um einen „Marsch“ im gewohnten Sinne. Die Melodie spielt hier nur eine untergeordnete Rolle. Artemyev charakterisiert die erschöpften Gefangenen mit einem zunächst sehr schleppenden Rhythmus. Später kommen Trommeln und stellenweise Blechbläser dazu, und schließlich setzt dann noch ein textloser Männerchor ein.

„Crossing Through Siberia“ beschreibt die weite und trostlose, eisige Landschaft. Dazu benutzt Artemyev das gleiche Thema wie beim „Prisoners March“, während zumindest am Anfang die Geigen im Hintergrund Melodiefiguren produzieren, die etwas an Smetanas „Moldau“ erinnern.

„The McCracken Machine“ (wir erinnern uns: ein dampfbetriebener Holzernter) bietet Artemyev dann noch mehr Gelegenheit, reichlich elektronische Elemente einzubauen. Melodie und Harmonik sind hier so gut wie nicht vorhanden, vielmehr besteht das ganze Stück praktisch nur aus dem (musikalisch dargestellten) rhythmischen Stampfen und Lärmen der Maschine.

Mit 23 Stücken und einer Gesamtlänge von 66:20 min. bekommt man mit dieser CD auch quantitativ einiges für sein Geld geboten.

Der CD beigefügt ist ein optisch schönes, wenn auch nicht übermäßig informatives Booklet, das neben Fotos der Hauptdarsteller und des Komponisten Szenen aus dem winterlichen Russland zeigt. Die Angabe der Länge der einzelnen Musiktitel fehlt leider.

Fazit: Der Barbier von Sibirien ist eine sehr abwechslungsreiche Musik, die etwas abseits des „üblichen“ amerikanisch geprägten Filmmusik-Sounds steht. Insgesamt hat er sich 4 ½ von 6 Sternen verdient, wobei ein halber Stern als Bonus dafür zu verstehen ist, dass dem Filmmusikfreund auch einmal eine solcher relativ ungewöhnlicher Score zugänglich gemacht worden ist.

Erschienen:
1999
Gesamtspielzeit:
66:20 Minuten
Sampler:
Sony Classical
Kennung:
SK 61802

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